Wenn aus einer Bastelstunde Kunst wird
Eva Tornatzky aus Bühlertal widmet sich seit Jahrzehnten dem Scherenschnitt
Bühlertal. Die 97jährige Eva Tornatzky sitzt in ihrem sonnenbeschienenen Wohnzimmer und plaudert. Währenddessen fahren ihre geschickten Finger mit einer kleinen Schere ein gefaltetes schwarzes Papier entlang, so schnell, dass man mit den Augen kaum folgen kann. „So, das wird eine kleine Tulpe hier, da machen wir einen Zwerg daneben, oh, jetzt hätte ich fast die Wimpern vergessen, die sind wichtig“, kommentiert die kleine Dame ihr Tun. Schließlich faltet sie das Papier auseinander und betrachtet kritisch das Ergebnis: Zwei kleine Zwerge, die ein Herz festhalten, umrandet von Zweigen und Tulpen, und sie haben tatsächlich... lange, gut sichtbare Augenwimpern. Zufrieden lehnt sich Tornatzky zurück, schmunzelt verschmitzt und sagt bescheiden: „Eigentlich ist das ganz einfach: Der Trick ist, die Schere mit der Fingerkuppe zu stützen, damit sie nicht abrutscht“.
Sie erinnert sich, wie alles anfing: Mit sechzehn Jahren kam die Volksdeutsche aus dem Banat nach Deutschland. In der Mark Brandenburg besuchte sie ein Internat mit einer integrierten Kinderpflegerinnenschule, „dort gab es ein Fach, das ‚Beschäftigungslehre für Kinder’ hieß, eigentlich die Bastelstunde, da freute ich mich immer am meisten drauf“. Aus jener Zeit also stammt ihre Begeisterung für den Scherenschnitt, dem sie sich seither vor allem vor Feiertagen widmet, und „seit dem Tod meines Mannes habe ich so viel Zeit, dass ich mich oft hinsetze, Volksmusik höre und anfange zu schnibbeln“, sagt die mehrfache Großmutter. Die Motive sammelt sie auf langen Spaziergängen durch die Natur; auch ihre Liebe zu Kindern spiegelt sich in den zahlreichen Scherenschnitten, die das ganze Haus zieren, „aber wenn ich mir eine bestimmte Pflanze oder Blume vornehme, dann betrachte ich sie beim Frühstück lange und präge mir alle Einzelheiten ein, manchmal auch mithilfe eines Buches, oder ich achte auf die Schattenwirkung, und später setze ich es aus dem Kopf heraus um“. Auf die Idee, dieses Können auch nach außen zu tragen, kam Tornatzkys Tochter Christine Kunsmann und ihr Schwiegersohn Jeann-Jacques Geib, die inzwischen auch bis zu 80 Zentimeter hohe Metallobjekte aus den Scherenschnitten, „die werden hier im Schwarzwald gelasert“, erklärt sie. Da entstehen kleine Pflanzenstecker, Kerzenständer, Garten- und Hausschmuck, aber auch Porzellantassen oder kunstvolle Karten mit den verschiedenartigsten Motiven: „Einmal hatte ich so einen Tick mit Schmetterlingen, da ist zum Beispiel diese Tasse entstanden“, erinnert sich Tornatzky, während sie das Objekt aus der Küche holt. Auch verästelte Bäume, tanzende Kinder oder Engel tauchen wiederholt auf. „Wir fahren inzwischen zu vielen Fachmessen zum Beispiel in Frankfurt, Zürich, Bern, Salzburg oder München, wo wir an Einzelhändler verkaufen“, sagt Kunsmann. Der Zuspruch ist groß: viele Kunden melden sich, um auch außerhalb der Messen bestimmte Motive in Auftrag zu geben, „das ist halt etwas Persönliches, und man braucht Zeit für die Herstellung, die hat ja heute keiner mehr“, fügt Tornatzky hinzu. Ihr selbst macht es am meisten Spaß, wenn auf einem Kunsthandwerkermarkt, wo sie mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn einen Stand haben, Kinder ihr beim Arbeiten zuschauen, „das ist für die eine leicht erlernbare Beschäftigung, die sie zur Ruhe kommen lässt“, betont sie, und fügt amüsiert hinzu: „Mein Enkel macht zum Beispiel Segelboote, das kann ich wieder nicht!“
Und wenn ihre kleinen Zuschauer ihr beim Faltschnitt zugucken und rufen: „Was wird denn das jetzt, da erkennt man ja gar nichts?“, dann klappt sie das Papier auf und sie sagen: „Oh! Das ist aber cool“, lacht die lebendige alte Dame. Und fragt mit Schalk im Gesicht: „Vielleicht spinne ich ein bisschen?“ Na, es wäre jedenfalls schön, wenn diese Art der „Spinnerei“ an die folgenden Generationen weitergegeben würde.